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Warum in die Ferne schweifen? Sorb*innen heute – Leben und Identität

Deutschland


Vor mehr als einem Jahr begann meine zis-Reise. Als ich am 1. Juni 2021 mit meinem Fahrrad und den vollgepackten Fahrradtaschen in meiner Heimatstadt in den Zug stieg, wusste ich nicht, was mich erwarten würde. Kaum drei Wochen zuvor dachte ich noch, dass meine zis-Reise mich nach Bosnien und Herzegowina führen würde, wo ich mich mit den Zukunftsvorstellungen junger Menschen beschäftigen wollte...

Vor mehr als einem Jahr begann meine zis-Reise. Als ich am 1. Juni 2021 mit meinem Fahrrad und den vollgepackten Fahrradtaschen in meiner Heimatstadt in den Zug stieg, wusste ich nicht, was mich erwarten würde. Kaum drei Wochen zuvor dachte ich noch, dass meine zis-Reise mich nach Bosnien und Herzegowina führen würde, wo ich mich mit den Zukunftsvorstellungen junger Menschen beschäftigen wollte. Dann hatte mir Corona kurzfristig einen Strich durch die Rechnung gemacht, und so war ich gezwungen umzuplanen. Wohin, wenn nicht ins Ausland, fragte ich mich. Über das sorbische Volk, das in der Ober- und Niederlausitz beheimatet ist, wusste ich kaum etwas; nur dass es möglich ist, das Abitur auf Sorbisch abzulegen. Durch meine Online-Recherchen erfuhr ich, dass es eigentlich nicht „das“ sorbische Volk, sondern zwei sehr unterschiedliche Sprachen, Kulturen und Mentalitäten gibt. Mich faszinierte die Idee, mitten in Deutschland diese mir unbekannte Lebenswelt und Sprache(n) zu entdecken. Ich wählte also „Sorb*innen heute – Leben und Identität“ als mein Reisethema und machte mich auf in die schöne Lausitz.

Obwohl ich nicht viel Zeit hatte, um meine Reise zu planen, hatte ich bereits nach wenigen Anrufen eine Unterkunft für eine ganze Woche gefunden. Als ich von meinen Reiseplänen erzählte, bot mir eine sorbische Pfarrerin spontan an, bei ihr und ihrer Familie zu wohnen. Diese Gastfreundschaft und Herzlichkeit begleiteten mich meine gesamte Reise über. Von Bautzen wollte ich weiter auf die sorbischen Dörfer reisen, wusste jedoch nicht, wo ich dort die nächsten Tage schlafen sollte. Die Großmutter der Familie, bei der ich gerade lebte, zückte kurzerhand ihr Adressbuch, ging es mit mir durch und rief eine Person nach der anderen an – die Weiterreise war kurz darauf gesichert. Ich entdeckte, was mir von bereits Gereisten als „zis- Glück“ beschrieben worden war und worunter ich mir nur vage etwas hatte vorstellen können: Stets fühlte ich mich umsorgt, und obwohl ich die fünf Wochen allein reiste, fühlte ich mich nie allein. Immer boten mir Menschen ihre Hilfe an und freuten sich, dass ich mich für sie und das sorbische Volk interessierte. Ich lernte sorbische Dichter, Trachtenschneiderinnen, Journalisten, Studierende, Lehrer*innen und Politiker*innen kennen. Alle erzählten mir von ihrem Leben, viele luden mich zum Essen ein, ließen mich an ihrem Alltag teilhaben und vermittelten mir weitere Kontakte. Während der gesamten fünf Wochen musste ich keine einzige Nacht im Hostel verbringen.

Eines Abends war ich in einem ober- sorbischen Dorf zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Es waren ungefähr 50 Gäste da. Alle saßen am Feuer, sangen und unterhielten sich. Ich war an diesem Abend die Einzige, die kein Sorbisch verstand. Mitten in Deutschland war ich umgeben von einer mir fremden Sprache und traditionellen sorbischen Volksliedern. Nie zuvor habe ich mich in Deutschland so ausländisch gefühlt.

Während in der Oberlausitz noch viele Kinder mit Obersorbisch als Muttersprache aufwachsen und auch Sorbisch auf den Straßen der Dörfer zu hören ist, gibt es in der Niederlausitz nur noch sehr wenige, die Niedersorbisch als Muttersprache sprechen und sie alle sind schon über 80 Jahre alt. Ein Grund dafür, warum die Sprache vor dem Aussterben steht, ist der jahrzehntelange Abbau von Braunkohle, der über 130 nieder- und mittelsorbische Dörfer vernichtet und die Bevölkerung in alle Winde verstreut hat. Der Blick in die bis zum Horizont reichende Grube hat mich sehr betroffen gemacht, zumal mir die Muttersprachler*innen von ihrer längst weggebaggerten Heimat erzählt hatten.

In der kurzen Zeit meiner Reise habe ich viel über mein Thema erfahren und einen tiefen Einblick in die sorbische Kultur bekommen. Außerdem habe ich jeden Tag viele Menschen und mit ihnen die unterschiedlichsten Lebensentwürfe kennengelernt. Ich habe Vertrauen in die Welt gewonnen, ein Vertrauen, dass es irgendwie schon klappen wird, denn immer waren Menschen da, die mir halfen, obwohl ich sie nicht kannte; die mir die Türen zu ihren Häusern öffneten und mich bei ihnen wohnen ließen. Auch mich selbst habe ich auf eine Weise neu erlebt – so wissenshungrig war ich noch nie. Es entwickelte sich in mir eine Neugierde, wie ich sie weder aus Schulzeiten noch aus den ersten Semestern meines Studiums kannte. Es war wie ein Sog. Zum ersten Mal hatte ich die Möglichkeit, so tief in ein Thema einzutauchen und mich von meiner Faszination treiben zu lassen. Die Erfahrung, alleine zu reisen und alles selbst zu planen, hat mir sehr viel Kraft und Selbstbewusstsein gegeben. Und, ich habe verstanden, dass Reisen nicht in die Ferne führen müssen, um neue Perspektiven und Horizonte zu eröffnen. Obwohl es mir selbst ähnlich ging, ist es für mich jetzt, nach meiner Reise, unvorstellbar, dass kaum jemand das sorbische Volk kennt, obwohl es in Sachsen und Brandenburg lebt. Ich weiß jetzt, wie viel es in Deutschland zu entdecken gibt.

Ein Jahr liegt meine Reise zurück, und noch immer denke ich oft an sie und zehre von den Erfahrungen. Es war eine einzigartige Reise.


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