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Raus aus der eigenen Suppe: Gesellschaftlicher Wandel in Spanien

Spanien


Es ist ein Mittwochnachmittag irgendwann im Oktober des Jahres 2019. Ich mache mich auf den Weg zur Schule. Als ich die ehemalige Dorfschule erreiche, hat sich dort bereits eine kleine Runde von älteren Damen zusammengefunden. Unterricht gibt es in dieser Schule nicht; es wohnt kein einziges Kind mehr im Dorf, das stark von Landflucht betroffen ist. Stattdessen findet hier jeden Mittwoch der „Taller de memoría“ – eine Art Gedächtnistraining für Senior*innen statt...

Es ist ein Mittwochnachmittag irgendwann im Oktober des Jahres 2019. Ich mache mich auf den Weg zur Schule. Als ich die ehemalige Dorfschule erreiche, hat sich dort bereits eine kleine Runde von älteren Damen zusammengefunden. Unterricht gibt es in dieser Schule nicht; es wohnt kein einziges Kind mehr im Dorf, das stark von Landflucht betroffen ist. Stattdessen findet hier jeden Mittwoch der „Taller de memoría“ – eine Art Gedächtnistraining für Senior*innen statt.

Das Gespräch ist in vollem Gange: Habt ihr gesehen, letzte Woche lag eine tote Katze auf dem Weg? Und wusstet ihr, die Cousine von sowieso war neulich im Dorf? Señor Soundso aus dem Nachbardorf ist gestürzt, oh weh. Nachdem zwanzig Minuten geschnattert wurde, beginnen wir damit, langsam unser rechtes Bein zu heben, dann das Linke, und drehen anschließend unsere Köpfe in alle Richtungen. Als ich an der Reihe bin, freuen sich alle lautstark über meinen jungen, kraftstrotzenden Körper, der noch keine Hüft- oder Knie-Operation hinter sich hat. Das konnten wir auch mal, wird mir versichert.

So begann meine Reise im kleinen Dorf Rimor...

Als ich ein Thema für meine zis-Reise auswählen wollte, saß ich drei Tage lang reglos vor meinem Notizheft. Wie sollte ich mich auf ein konkretes Land beschränken, wenn mich doch vor allem die alles übergreifenden Zusammenhänge interessierten? Viele Notizen und Telefonate später war dann die „Reflexion des gesellschaftlichen Wandels mit älteren Menschen in Spanien“ geboren.

 

Zentrale Fragen, denen ich nachgehen wollte, waren:

• Wie viel hat sich innerhalb weniger Generationen verändert?

• Wie funktioniert gesellschaftlicher Wandel? Wo führt er hin?

• Inwiefern können und sollten wir Einfluss darauf nehmen, wie sich Gesellschaft verändert?

• Was haben die Menschen, die am längsten auf dieser Welt leben – also die Senior*innen – dazu zu sagen?

 

Ich wollte die Dynamik des Wandels verstehen und dabei gleichzeitig der Frage nachgehen, was ein gutes Leben ausmacht.

Insgesamt zwei Monate war ich zwischen Rimor, Salamanca, Madrid und Andalusien unterwegs. Ich übernachtete bei vielen verschiedenen Menschen, saß in Bars, Fernbussen und Bla- bla-Cars, verkaufte selbst gesammelte Esskastanien, arbeitete auf einem Weihnachtsmarkt und stellte zwischendurch tausende und abertausende Fragen. Um meinem Forschungsgegenstand näher zu kommen, hatte ich es vor allem auf zwei Personengruppen abgesehen: ältere Menschen aus verschiedensten Kontexten und Uniprofessor*innen der Disziplinen Soziologie, Anthropologie, Philosophie und Sozialpsychologie.

Die Gespräche mit den älteren Menschen waren anspruchsvoll und spannend. Der Fokus auf mich selbst, mit dem ich sonst in die Welt schaute, weitete sich aus und lockerte mich. Ich bin nur eine Variante, ein kleines Klümpchen von Leben, welches sich eh immer wieder neue Formen sucht. Das Leben ist voll von Schmerz und Heilung und wir alle sind geformt von unseren ganz individuellen Umständen.

Viel zu selten entsteht tiefer Kontakt mit Menschen, deren Werte und Lebensumstände sich grundlegend von den eigenen unter- scheiden. Dabei sind es vor allem solche Begegnungen, die einen wirklich von den Socken hauen!

Insgesamt katapultierte ich mich im Laufe meiner Reise in eine unerschöpfliche Palette von Fragen: über das gute Leben, über die Situation alter Menschen in modernen Gesellschaften, über ihre Rolle und ihren Blick auf den Wandel, über Spanien, Landflucht, den Einfluss der Franco-Diktatur, die aktuelle wirtschaftliche Situation, über den gesellschaftlichen Wandel als Forschungsgebiet der Soziologie, über unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten oder über jeden einzelnen Menschen, der mir begegnet ist. Das ist in so einem knappen Rahmen aber eher unbefriedigend, deshalb lasse ich es sein und freue mich stattdessen über lebendige Gespräche.

Im Nachhinein erscheint mir von allen Erwartungen an die Reise am lustigsten, dass ich dachte, ich würde Antworten auf meine Fragen finden. Liebe Cora der Vergangenheit, du wirst vieles finden, aber es werden keine konkreten Antworten sein.

Beim Blick auf die vielen zis-Reisen, die schon gemacht wurden, fasziniert mich vor allem, wie jede*r Reisende eine Art Filter ist, der oder die auf eine ganz einzigartige Weise mit der Welt interagiert, Menschen wahrnimmt und Schlüsse zieht. Ich finde es spannend, meinen eigenen Filter zu beobachten und schätzen zu lernen: den unstillbaren Drang, Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen und alles aus einer ethischen Perspektive zu betrachten. Mich selbst oft in Frage zu stellen, da ich perfektionistisch und gehemmt sein kann. Es hilft mir, diese Erkenntnisse über mich im Hinterkopf zu behalten. Und: auch schüchterne und introvertierte Menschen können gute Abenteurer*innen sein!

Ich könnte noch viel schreiben, aber das bleibt abstrakt und platt auf Papier. Stattdessen wünsche ich mir, dass Menschen ihr Leben ab und zu zur zis-Reise machen, ihre Sicherheit und Urteile loslassen und mit offenen Augen in die Welt blicken. Dass sie versuchen, wirklich zu verstehen, wirklich zuzuhören. Das Leben ist zu kurz, um immer nur in der eigenen Suppe zu schwimmen!


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