Kaum zwanzig Stunden nach meinem stressigen Abitur machte ich mich auf die Suche nach dem dänischem Hygge. Eine Philosophie der Gemütlichkeit, des Wohlbefindens und der Achtsamkeit, seit jeher ein Teil der kulturellen Identität Dänemarks. Genau das Richtige für meinen hohen Cortisolspiegel und die wohl mögliche Erklärung für die so glücklich wirkenden Dänen (siehe World Happiness Report). Jedoch steht Dänemark nun nicht mehr nur für das Land des Glückes. Seit Neuestem liefert es Schlagzeilen über seine strengen migrationspolitischen Maßnahmen, und das weltweit. Diese Politik zielt darauf ab, die kulturelle Homogenität zu bewahren und soziale Spannungen zu minimieren, stößt jedoch auf heftige Kritik von Menschenrechtsorganisationen und internationalen Beobachtern. Dass jenes dänische Glück nun eventuell doch nur eine Fassade des König- reiches sein könnte, machte mich neugierig.
Ich reiste umher mit Traktoren, Paddelbooten, Schiffen und LKW, um vor Ort durch Gespräche mit Einheimischen, Besuche politischer Institutionen und den Austausch mit Migranten diesen Widerspruch besser zu verstehen. Quer durch Dänemark führte ich Umfragen durch, wie die strenge Migrationspolitik mit der Offenheit, dem Sinn für Gemeinschaft und Gemütlichkeit der Hygge-Lebensphilosophie zusammenpasse. Besteht ein Kausalzusammenhang? Bedeutet das Glück einer ausgewählten/bestimmten Gemeinschaft automatisch das rigorose Abgrenzen von einer anderen?
Noch wichtiger wurde meine Themenauswahl, als mir der Einfluss der dänischen Migrationspolitik auf die der anderen europäischen Staaten auffiel. Dänemark gilt als eine Art Vorreiter oder Vorbild. Spätestens als ich von dem Schicksal einer gut integrierten, syrischen Familie erfuhr und diese auch mit ihrer realen Angst vor Abschiebung kennenlernte, brannte ich für dieses Thema. Die beiden Töchter, in Dänemark geboren, beherrschten die Sprache ihrer Eltern nicht, waren Däninnen durch und durch; leider aber ohne die dänische Staatsbürgerschaft. Sie fürchteten auch, nun in das Land ihrer Eltern abgeschoben zu werden. Dänen ohne Staatsbürgerschaft, konfrontiert mit „Null-Migration“-Ziel. All diese Phänomene begegneten mir. Ich reiste weiter.
Durch verschiedenste Kontakte wurde mir ermöglicht, an einem exklusiv dänischen Inselcamp teilzunehmen. Diesjähriges Thema: Hygge. Für mich ein totaler Wandel der Gefühle und Gemeinschaft. Vor allem sprachen die Dänen in diesem Camp nur Dänisch. Trotz Duolingo beherrschte ich anfangs kein einziges Wort dieser Sprache. Jedoch begegneten mir die Menschen offen und warmherzig. Es wurde viel gebacken, gelacht und getanzt. Wir sangen Lieder am Lagerfeuer und häkelten Topflappen. Wenige Tage nach diesem Camp verabredete ich mich in Kopenhagen mit der Inhaberin eines Beauty-Salons. Auch sie hatte keinen Migrationshintergrund, war in Dänemark geboren und
aufgewachsen und wollte nach dem bestandenen Abitur mit ihren Freundinnen – ähnlich wie auch ich – ein gap year machen. Leider durfte sie nicht. Sie hatte nur eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung in Dänemark und durfte das Land bloß für eine bestimmte Zeit verlassen. Nun, während ich diese Worte schreibe, befinde ich mich in Kanada in meinem gap year und denke noch oft an sie zurück.
Bis heute prägt mich meine Reiseerfahrung mit dem zis-Stipendium. Ausgehend von diesen Erlebnissen engagiere ich mich nun auch mehr (migrations-) politisch. Mit einigen meiner dort kennengelernten Kontakte bin ich auch heute noch in Verbindung und verfolge weiterhin Dänemarks politische Lage.
Vielen Dank liebes zis-Team, dass ich unterwegs ankommen und diese Erfahrungen machen durfte!