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Tango in Finnland

Finnland


Eva-Linde Geiling muss auf ihrer Reise 2005 manchen Tiefschlag hinnehmen und bleibt doch zäh bei ihrem Vorsatz, dem finnischen Tango auf die Spur zu kommen. Sie spürt den großen Künstlern nach und gibt in ihrer Studie auch eine Antwort auf die Frage, warum die Finnen diese Musik, die Texte und die Choreographie lieben.

Eine Hand schiebt mich im Wechselschritt übers Parkett. Sie hält mich etwas eng. Die Hand gehört einem vergnügten Mitfünfziger, seine Zähne von Kautabak und Kaffee verfärbt, nah an meinem Ohr. Er summt mit und schwitzt. Ein beleuchtetes Schild hat ihm gegen Schüchternheit geholfen und angezeigt, wann er die Dame, wann die Dame ihn aufzufordern hat. Wir schlurfen gegen den Uhrzeigersinn zu finnischem Tango. Lateinamerikanisches Feuer und finnische Melancholie scheinen zunächst eine skurrile Verbindung zu sein, doch Finntango hat mit dem Original – außer dem zweifelhaften Genuss körperlicher Nähe – recht wenig gemein.

Nachdem der rioplatensische Tango 1913 das erste Mal in Finnland aufgeführt wurde, büßte er sämtliche Stilmerkmale ein. Besonders in seiner Hochphase in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg und in den 70er Jahren – die noch heute beliebtesten Tangos stammen aus jener Zeit – wurde er regelrecht „finnlandisiert”. Die Synkopen wurden gegen einen gemächlichen, geraden Marsch-Rhythmus getauscht, dem sich der Tanzstil vieler anpasste. Anstatt aggressiven oder anzüglichen Texten bevorzugten Finnlands Tangogrößen Toivo Kärki oder Unto Mononen Naturbilder und Stilmittel, die sie teils dem Nationalepos Kalevala entliehen. Thematisiert werden Liebe, Nostalgie und andere Möglichkeiten der Alltagsflucht.

Nach wie vor stiftet Tango Geborgenheit. Die Tanzorchester werden zwar zentral von einer Gesellschaft in Turku mit populären Sängern versehen und an die zahlreichen Tanssilavat (Tanzplätze) auf dem Land „vermietet”. Auch hinter dem Tangofestival in Seinäjoki, das jährlich 100000 Besucher anzieht, steckt eine ausgefeilte Marketingstrategie. Nichtsdestoweniger geben sich zweimal wöchentlich Hunderte Finnen der bittersüßen Gefühlsdudelei des Finntago hin, halten sich an das feste Regelwerk eines Tanzplatzes, summen die repetetiven Texte.

Natürlich begegnet man ihm auch anders, dem Tango in Finnland, er wird auf Fähren getanzt, in Karaoke-Bars und auf Rockfestivals gesungen, auf Wettbewerben präsentiert und füllt Regalreihen in Bibliotheken. „Satumaa” („Märchenland”, 1955), ein Tango von U. Mononen, wurde jüngst von einem Theologen für das Psalmbuch der evangelischen Kirche vorgeschlagen und gilt als zweite Nationalhymne.

Mein Tanzpartner führt mich exakt zu dem Platz zurück, von dem er mich abgeholt hat. Ihm bedeutet Finntango ebenfalls viel, schließlich ist er der Hausmeister von Finnlands größtem Tanzplatz – Esakallio – in Unto Mononens Heimadtstadt Somero. Es hat ihn gefreut, dass ich die Namen der Lokalhelden kannte und jeden Schnipsel Tango sammelte, so sehr gefreut, dass ich im Backstage-Bereich des Tanzplatzes wohnen durfte - und ihn von Zeit zu Zeit wienern. Ich lernte, dass offensichtliches Interesse am Fremden mehr wert ist und mehr Türen öffnet, als ein genauer Reiseplan.

Meine Reise hatte mich bis dahin durch Turku geführt, in die Tanzschulen, durch Seinäjoki und seine enttäuschende Überbleibsel des Tangofestivals. Die Reise war erst bei der Hälfte und mein Tagebuch bereits gefüllt mit von Tränen gewellten Seiten. Jeden Schnipsel Tango zu horten bietet einen roten Faden, aber kein Mittel gegen Einsamkeit oder Emotionen, wenn niemand in der Nähe ist, um sie abzufedern. Leider war auch niemand in der Nähe, als ich mir in Seinäjoki den Rucksack mit sämtlicher Ausrüstung stehlen ließ. Im Nachhinein wird es weniger schlimm erscheinen; ein betrunkener Diplomatensohn wird mir im Bahnhof von Helsinki seine Schuhe schenken und einen Topf Himbeeren. Ich werde in der Hauptstadt Unterschlupf finden, mich in Tanzklubs herumtreiben, ein geliehenes Rad in einem Hauseingang einschließen lassen, werde schließlich nach Somero zurückkehren.

Fest entschlossen, weiterhin jede Menge Fehler zu begehen, werde ich in Finnlands größten Tanzplatz mit Hilfe eines verkohlten Spiegeleies den Feueralarm auslösen. Brot wird in der Sauna backen – es sollte nur aufgehen –, Socken werden dort ankokeln und die Hallen mit dem Duft von verbranntem Waschmittel fluten. Ich will oft verzweifeln. Verzweifeln, weil ich das Vertrauen der zis-Betreuer, meiner Eltern und der helfenden Hände unterwegs nicht zu verdienen scheine, weil ich mich naiv und zu jung fühle.

Heute denke ich anders. Vermutlich haben die zwei Jahre die Rückschau verklärt, vielleicht ist es aber auch Einsicht: Mittlerweile ist klar, dass ich gerade jung genug war, um an der Reise zu wachsen. Sie hat, verstaubt formuliert, meine Problemlösungskompetenz geschult. Ich weiß nun, dass die Aufgabe gar nicht zu groß sein kann, weil die Zielvorgabe an der Reise wächst – nicht anders herum. Die Gestaltungsfreiheit, die der scheinbar enge Rahmen von zis-Bedingungen lässt, ist groß genug für eigene Zielsetzungen und Erwartungen. Es ist die (Gestaltungs-) Freiheit, die ich seither vermisse und die mich wieder auf zis-Reise lockt. 


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