Als ich mich in den Bus nach Wrocław setzte, hatte ich ziemliche Kringel im Bauch. So nenne ich das Kribbeln, das spiralförmig durch den Bauch zischt und mich meine Aufregung spüren lässt. Diese Aufgeregtheit blieb tatsächlich in abgeschwächter Form die meiste Zeit über und ließ mich die Reise umso intensiver erleben.
Meine zis-Reise führte mich nach Polen, wo ich vier Wochen zu meinem Thema reiste. Vor allem die Gespräche, aber auch Museumsbesuche, Eindrücke von Städten und mir auffallende Kleinigkeiten nahm ich mit einer Kamera auf, um die Videos später zu einer Dokumentation zusammenzuschneiden.
Ich schaffte es bis zum zweiten Tag mit Portemonnaie, der Rest musste ohne gehen, es wurde mir gestohlen. Von da an schickte ich mir Geld an die Wechselstuben – die man mal in dunklen, mal in hellen Ecken fand.
Meinen ersten Stopp in Wrocław behalte ich trotz des gestohlenen Portemonnaies in sehr schöner Erinnerung: Bei meinem ersten Interview strahlte mich Gosia, die Fotografin, die ich in einem kleinen Park bei blauem Himmel traf, ansteckend an, und wir vertieften uns schnell in ein spannendes Gespräch über ihre Kunst und ihre Kindheit in Polen. Somit war das Projekt ins Rollen geraten und ich umso motivierter. Nette Bekanntschaften überraschten in unerwarteten Augenblicken und wurden für mich ein wichtiger Teil der Reise.
Kraków, mein dritter Stopp, gewann mich schnell für sich. Bei meiner Gastgeberin Milena fühlte ich mich nach wenigen Tagen wie zuhause und nach krankheitsbedingten ruhigen Tagen traf ich einen inspirierenden Menschen nach dem anderen. Zwar immer noch nervös, verinnerlichte ich die Interviewabläufe doch mit jedem Gespräch mehr.
Während die Fotografinnen in meine Videokamera lächelten, erzählten sie mir von ihren Bildern. Sie hatten unterschiedliche Perspektiven auf ihr Land und so bekam ich einen Einblick in eine Bandbreite an Themen. Einige dokumentierten politische Demonstrationen gegen Entscheidungen der rechts-konservativen Regierung der Partei PiS. Karolina zeigte mir ein Bild von einer Frauenrechtsbewegung für Abtreibungsrechte, während Natalia das gleiche Thema künstlerisch in einer Bilderreihe aufgriff. Ich tauchte ein in Karolinas Projekte, in denen sie Geflüchteten half, eine Wohnung zu finden und hörte Michal zu, als er mir Bilder von misshandelten Bäumen in ländlichen Gegenden zeigte. Der Schutz der Natur und die Schönheit der Grünflächen wurden einige Male erwähnt. Wieder andere sprachen mit mir über ihren katholischen Glauben und zeigten mir Bilder, in denen sie den Heiligen Geist abbildeten.
Meine Reise führte mich weiter über Łódź in die Hauptstadt, wo ich bei einer wunderbaren Familie unterkam und mit zwei Mädchen auf der Straße ins Gespräch kam, das wir zwei Tage später bei einer Vernissage fortführten. Die letzten Tage meines Aufenthalts verbrachte ich in Gdynia und beendete die Reise mit Natalia, die mir einen Schlafplatz in einer kleinen Kunstgalerie besorgt hatte und mit der ich mich nett und offen unterhielt.
Neben dem Verlust meines Portemonnaies ging noch so einiges anderes schief und Absagen zwangen mich öfter dazu, spontan meine Pläne ändern. Ich erinnere mich an Flixbusfahrten, bei denen mein Sitznachbar die klassische BiFi rausholte und Abende, an denen ich mich allein fühlte. Nichtsdestotrotz war diese Zeit eine ganz besondere für mich und ich erinnere mich sehr gerne an sie zurück.
In meinem Interview mit Michal zitiert er die Fotografin Lisette Model: „Je spezifischer du bist, desto genereller wird es sein“ (übersetzt). Was er sich zum Motto seiner Fotografie nimmt, lässt sich auch auf mein zis-Thema übertragen. Ich versuchte, durch die Linse einer spezifischen Gruppe, die polnischen Fotograf*innen, ein Bild der polnischen Gesellschaft einzufangen. So lernte ich vielfältige Themen unterschiedlichster Menschen kennen, die trotzdem mehr gemeinsam hatten, als man am Anfang glauben würde.