Oft werde ich gefragt, wie ich denn auf das Thema meiner zis-Reise gekommen sei. Tatsächlich hatte ich vor Beginn meiner Recherche nach einem Thema auch noch nie von den Mères Lyonnaises, den Lyoner Müttern, gehört. Durch Zufall stieß ich dann in einem Zeitungsartikel auf diese Frauen. Sie eröffneten vor rund einhundert Jahren ihre eigenen Restaurants in Lyon und trugen maßgeblich zur Entwicklung der französischen Küche bei. In diesem Artikel wurde unter anderem Jacotte Brazier interviewt. Sie ist die Enkelin einer der berühmtesten Mères Lyonnaises, Eugénie Brazier, bei der auch der Sternekoch Paul Bocuse lernte. Schnell merkte ich, dass ich mein Thema gefunden hatte, da es mehrere Aspekte, die mir am Herzen liegen und mich interessieren, vereint: Geschichte, gutes Essen, starke Frauen und das Leben in Frankreich.
Wenige Monate später fuhr ich recht aufgeregt auf meinem Fahrrad durch das sonnige Lyon zu meinem ersten (und bei Reise- antritt auch einzigen) Kontakt Lucy Vanel, die eine Kochschule im Herzen der Stadt führt/betreibt. Dieses Treffen mit Lucy gab mir zu Beginn der Reise viel Mut und hielt gleich eine Überraschung bereit, da sich herausstellte, dass sie Jacotte Brazier persönlich kennt und mir anbot, den Kontakt zu ihr zu vermitteln.
Jedoch hörte ich zunächst nichts von Jacotte Brazier und fand mich schon mit dem Gedanken ab, dass es wohl zu schön um wahr zu sein gewesen wäre, sie persönlich zu treffen. Dennoch erlebte ich in der nächsten Zeit viele Höhepunkte (und zum Glück nur wenige Tiefs) und traf unglaublich herzliche Menschen. Insbesondere machte ich die Erfahrung, dass sich ausgehend von dem einen Kontakt plötzlich eine Reihe von Kontakten in Gang setzte. Mir wurde von den bis dahin unbekannten Menschen eine Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft entgegengebracht, die mich manchmal fast überwältigte. So war ich zum Beispiel beim Institut Paul Bocuse zu Gast, wo mir nicht nur viel über die Geschichte der Gastronomie Lyons erzählt wurde, sondern ich auch Lorelei Beauzac kennenlernte. Sie ist die jüngste Sous-Chefin der Restaurants Bocuses, die es jemals gab und nahm sich trotz ihres Urlaubsbeginns viel Zeit für mich. Neben ihrer Arbeit als Köchin engagiert sie sich in dem vom Institut Bocuse gegründeten Comité Her‘itage, das junge Frauen in der Gastronomie unterstützt. Ebenfalls immer im Gedächtnis bleiben wird mir das Zusammentreffen mit Florence Périer, die als Köchin ein traditionelles Restaurant führt. Sie holte meinetwegen spontan sogar ihre Sommelière als Übersetzerin dazu und machte es so möglich, dass wir vertieft über die Spezialitäten der Lyonnaiser Küche und die Bedeutung der Mères Lyonaises sprechen konnten.
Schließlich hatte ich zum Ende meiner Reise aber doch noch die Möglichkeit, ein Gespräch mit Jacotte Brazier zu führen. Wir trafen uns in einer kleinen Bar bei ihr um die Ecke, die sie als ihr „Büro“ bezeichnete. Durch sie und die Erzählungen über ihre Großmutter wurde für mich eine lebendige Verbindung zu der großen Mère Brazier hergestellt, aber auch ihre eigene Lebensgeschichte faszinierte mich. Bei dem Treffen fühlte es sich für mich so an, als hätte sich ein Kreis geschlossen von dem Moment, als ich zum ersten Mal etwas über diese beeindruckenden Frauen gelesen hatte, bis hin zu dem Tisch, an dem ich ihr nun gegenübersaß.
Vielleicht hat das zis-Glück mich zu diesen Begegnungen geführt, vielleicht der Zufall, wie auch immer man es nennen möchte. Auf jeden Fall bin ich ganz fest davon überzeugt, dass sich diese Magie nicht nur auf die zis-Reise beschränkt, sondern auf das ganze Leben übertragen lässt. Ich bin der zis-Stiftung und den vielen Menschen, denen ich auf meiner Reise begegnet bin, sehr dankbar, dass ich durch diese Erfahrung gelernt habe, ein Grundvertrauen ins Leben zu haben. Auch wenn ich auf meiner Reise nur eine Stadt entdeckt habe, hat sich dadurch die ganze Welt für mich geöffnet.