Es ist November 2022. Ich sitze mitten im Klausurenstress in Deutschland. Es ist kalt, es regnet und jeder Tag ist gleich wie der andere. Genau hier ist der Traum entstanden, den November 2023 ganz anders zu verbringen. Ich wollte schon seit langem den Islam besser kennenlernen und vor allem die arabische Welt, von der ich das Gefühl hatte, dass sie kaum präsent ist in den Medien und wenn, dann nur ziemlich einseitig und kritisch. Da ich auch mein Französisch verbessern wollte, dachte ich, Marokko wäre perfekt. Soviel zu meinem naiven Traum, der bis zum Tag meiner Abfahrt von allen Seiten kritisch belächelt wurde. Von „zu jung“, über „finanziell nicht realisierbar“, bis hin zu „zu gefährlich als Frau“, habe ich alles gehört. Als ich meine dreitägige Reise nach Marokko begann, war ich also ganz schön aufgeregt. Aber so richtig realisiert, dass ich gerade auf dem
Weg zu einem anderen Kontinent mit anderer Kultur, Religion und Sprache bin, habe ich es erst auf meiner 31-stündigen Bootsfahrt von Barcelona nach Tanger.
In Tanger wurde ich ohne Schonung in den marokkanischen Alltag geworfen. Soumia, meine erste Kontaktperson, wohnte mit ihren Eltern, ihren zwei Schwestern, dem Ehemann der einen und den drei Neffen zusammen in einer 3-Zimmer-Wohnung und ich mitten im Gewusel. Es gab kein warmes Wasser, mein Bett war hart und außer mit Soumia konnte ich mich mit niemandem verständigen. Ihre Gastfreundschaft habe ich dennoch sofort gespürt. Der Besuch bei Soumia war ungemein wichtig, denn ich habe gemerkt, dass man Religion und gemeinsame Werte überhaupt nicht über einen Kamm scheren kann. Soumia habe ich über eine evangelische Kirche kennengelernt und mit ihr war ich auch gemeinsam beim „Gottesdienst“. Daher dachte ich, dass wir sehr ähnliche Meinungen hätten – aber nein! Sie war die konservativste Frau, die ich je getroffen habe und das gemeinsame Beten von Musliminnen, welches ich später erlebt habe, hat mich viel mehr an mein gewohntes christliches Bild von Liebe zu Gott erinnert als das ihre. Über Soumia habe ich Safae kennengelernt. Mit ihr wiederum habe ich mich wertemäßig sehr auf einer Wellenlänge gefühlt und unsere entstandene Freundschaft liegt mir ein Jahr später immer noch am Herzen. Sie wurde zur wichtigsten Kontaktperson meiner Reise.
Im Anschluss war ich in Rabat, Essaouira, Marrakesch, Casablanca und wieder in Tanger. In Rabat habe ich dank Safae Aicha und Imane getroffen. Sie waren unglaublich lieb und haben mich drei Tage bei ihnen wohnen lassen, obwohl ich eigentlich eine Unterkunft allein gehabt hätte. Aber sie wollten nicht, dass ich allein bin. Vor allem Imane war sehr gläubig und ließ mich ganz viel an ihren Gedanken teilhaben. Ich habe dabei immer wieder gemerkt, dass der Islam für sie eine riesige Stütze ist und dass sie darin keineswegs ein konservatives Frauenbild begründet sieht.
In Essaouira stellte sich der Kontakt zur Frauenorganisation als nicht sehr fruchtbar heraus. Dadurch hatte ich aber sehr viel Zeit zum Entspannen und Beobachten, wie auch zum intensiven Austausch mit meiner Gastfamilie.
In Marrakesch war ich spontan mit Safae bei einer Freundin von ihr. Für eine ganze Woche durften wir bei ihr bleiben. Durch diese lange Zeit konnte ich in Marrakesch am meisten Interviews führen und mir richtige Kontaktnetze aufbauen. Mein Highlight war definitiv der Besuch bei einer Autorin, deren Buch ich vor meiner Reise gelesen hatte. In Casablanca habe ich eine der schlausten und stärksten Frauen getroffen, die ich je kennengelernt habe. Madame Souad ist Jura-Professorin an der Universität und gleichzeitig Mitbegründerin einer Frauenorganisation, die sich regelmäßig mit Politiker*innen trifft, um Defizite in der marokkanischen Gesetzgebung aufzuzeigen. Sie begründet ihre Forderungen mit dem Koran und hat mir so gezeigt, wie Feminismus und Islam Hand in Hand gehen können. Die letzten Tage meiner Reise habe ich dann bei Safae verbracht.
Insgesamt habe ich mit vier Frauenorganisationen Kontakt gehabt, zwei Fußballtrainer*innen interviewt, vier Museen besucht, einen Hammam nur mit Marokkanerinnen besucht, bei sechs verschiedenen Marokkanerinnen gelebt, zwölf Interviews geführt, unendlich viel beobachtet und versucht, zu verstehen. Diese kurze Skizzierung meiner Reise kann absolut nicht all die in- timen Erfahrungen, die ich gemacht habe, wiedergeben. Egal, wie viel ich erzählen würde, es könnte nicht all die Herzlichkeit, Gastfreundschaft und Offenheit widerspiegeln. Auch das Interesse der Marokkaner*innen an mir und ihre Teilhabe an meinem Projekt waren atemberaubend. Ich habe auf dieser Reise unglaublich viel über Marokko und den Islam gelernt, aber auch über mich selbst und wer ich in dieser Welt sein will. Ich danke zis sehr für die Möglichkeit und daher kann ich nur dazu aufrufen: Reist nach Marokko, reist in die Welt! Redet mit allen Menschen, die ihr interessant findet! Es gibt so viel zu entdecken und wir Menschen können und müssen noch so viel voneinander lernen!