Im Nachhinein betrachtet ist die Schlüsselerkenntnis, die mir meine zis-Reise wohl gegeben hat: Ich habe gelernt, wie schnell ein Ort, ein Klima, eine Lebensart einen einnimmt, in welch kurzer Zeit man sich heimisch und zu Hause fühlen kann. Innerhalb von nur fünf Wochen, die ich in Andalusien verbracht habe, sind die Stationen meiner Reise zu meinem Lebensmittelpunkt geworden, zu meinem eigenen Kosmos, in dem ich mich aufgehoben gefühlt habe. Es hat sich mir eine Lebensweise, ja auch eine eigene Welt erschlossen.
Die Reise hat mir dabei einen Sinn, eine Zielsetzung an die Hand gegeben, was einzigartig an der zis-Reise ist. Gerade dadurch konnte ich der kurzen Zeit so überraschend tief eintauchen. Das Thema und die Zielsetzung der Reise war Sinn, war Anker- und Drehpunkt im Leben und Erleben, die wir sonst so oft in unserem Alltag suchen. Die Wochen der Reise hatten ihre ganz besonderen Regeln und Dynamik, losgelöst von vorherigen Standards und gefordert wie gefördert durch vieles der Reise ganz Eigenes, wie das Tagebuch, das zu einem ständigen Begleiter und Quelle des Halts und der Inspiration wurde: In vielerlei Hinsicht bildete die zis-Reise eine andere Lebensart, und auch ein anderes Leben.
Die Reise hat mir gezeigt, dass, wenn man sich auf der Suche nach etwas Bestimmtem aufmacht, einem auch Türen geöffnet werden, und das heißt in erster Linie zu den Menschen. Einige Bekanntschaften erscheinen mir auch heute noch magisch, doch liegt ihr Aufkommen wie natürlich in dem „Leben“ der Reise. Pepe, das Urgestein des Flamenco in Jerez, der mit mir über viele Tage seine Wohnung teilte und trotz Generationenunterschiede einen engen Freund in mir sah, Mari, die mir in einem üblen Moment mit ihrer Herzlichkeit und Gastfreundschaft auf die Beine half und mir gezeigt hat, was ein gemeinsames Frühstück bewirken kann, oder Agustín, der Barbesitzer, der trotz anfänglicher Skepsis mich in seine persönliche Welt des Flamenco willkommen hieß. Die Menschen haben mich über den Rahmen der zis- Reise hinaus darin bekräftigt, dass bei der Verwirklichung eines Ziel und dem Interesse am und im Fremden man auf viel Unterstützung bauen kann. Den daraus geschöpften Mut, mit offenen Augen und Fragen durch die Welt zu gehen, werde ich in der Zukunft, nicht nur in konkreten Reiseprojekten, beibehalten.
Ich habe mir im Verlauf der wenigen Wochen öfters ausgemalt, wie es wäre, in Andalusien zu bleiben. Wie wäre es wohl, hier zu wohnen und aus der Reise ein Lebensprojekt zu machen, so wie viele der Flamenco-Begeisterten aus der ganzen Welt, die ich in Andalusien kennengelernt habe? So sehr habe ich mich an den Alltag, die Musik, den Umgang gewöhnt, dass mir all das normal erschien. Der Reichtum dessen, was ich dort vorfand, erschien mir unermesslich, die Oberfläche, die ich mir erschloss, hatte noch so viel mehr zu bieten. In einem Moment dieser Erkenntnis schrieb ich mit gemischten Gefühlen (und einem leichten dichterischen Anschlag) in mein Tagebuch:
„Manchmal, in Momenten von Weitsicht und Nüchternheit, bin ich erschrocken, auch hoffnungsberaubt, bei der Sicht auf all die Dinge, die es sich zu erfahren, zu erforschen lohnt, die schönen Dinge, die es gibt. Ein Menschenleben reicht doch nie aus, um auch nur einen Bruchteil davon kennenzulernen! Und in einer Sache Exzellenz zu erlangen, heißt, vieles anderes zurückzulassen, sich voll dieser Sache hinzugeben, dabei aber auf so viele Dinge zu verzichten. Was soll man tun? Bei der Ansicht des endlosen Ozeans an Möglichkeiten geht mir die Treibkraft verloren!“ (14. Juli 2013)
Und auch das gehört zur Reise: Die Rückkehr bildete aufs Erste den Abschluss des Lebens in Spanien. An die Orte bin ich seitdem nicht zurückgekehrt, mit den Menschen habe ich keinen Kontakt gehabt (einige Adressen sind vor kurzem wieder aufgetaucht und liegen als Vorhaben, über die ich mich auch geärgert habe, sie nicht erledigt zu haben, auf dem Schreibtisch). Doch das Leben in Deutschland hatte mich eben schnell im Griff: Beginn des Studiums, Wohnortwechsel, ein neuer Kreis an Mitmenschen. Auch das war in vielerlei Hinsicht eine erlebnisreiche Reise im letzten Jahr. Somit war die zis-Reise vielerlei Anfang, hat mir Türen geöffnet, Erfahrungen und Freundschaften geschenkt, doch auch ein Ende, das mit dem Abschluss der Reise feststand und einem neuem Lebensabschnitt wich.
Doch auch wenn ich die zis-Reise in eine Reihe mit anderen vergangenen Reiseerlebnissen hinstellen könnte, weiß ich, dass sie dort nicht hingehört. Sie hat mir viel Besonderes gegeben, hat Neugier und Ehrgeiz geweckt und mich dazu motiviert, eigene Herangehensweisen der Dokumentation und Recherche zu entwickeln, was nur im Rahmen dieser Reise möglich war. Das hat mir auch die Auseinandersetzung mit den Erfahrungen im Nachhinein und die Ausarbeitung des Reiseberichts gezeigt, der ja letztlich ein Ziel ist, auf das man hinarbeitet. Wobei der fertige Bericht natürlich nicht das prägende Element der Reise ist. Viel mehr steckt dahinter, was sich jedoch durch die konkrete und auch schriftliche Auseinandersetzung mit dem Thema für einen selber nochmals deutlich herausstellt. Andalusien und die Stationen meiner Reise haben für mich eine nähere Rolle eingenommen als bisherige Reiseziele, durch die persönlichen Bekanntschaften, das Unmittelbare des Erlebten und auch den Alltag dort. Selten sind mir Orte und Menschen so sehr ans Herz gewachsen wie diese. All das liegt in meinen Erlebnissen und Erinnerungen, und wenn Gitarre und Gesang des Flamenco irgendwo erklingen und ich ihnen lausche, dann bin ich mit einmal wieder hineingeworfen in eine Welt, die ich ohne die fünf Wochen in Andalusien im Rahmen der zis-Reise nie kennengelernt hätte.