Ich hatte nicht die geringste Vorstellung davon, mit welch neuen Gefühlen und Erlebnissen eine solche Reise verbunden sein würde.
Es geht nicht vorrangig darum, an welchem Thema man "arbeitet" und noch weniger darum, zu irgendwelchen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu kommen. Doch mit genau diesem Hintergedanken der " Forschung", was vielleicht ein wenig überheblich für eine Abiturientin klingt, bin ich los gefahren. Ich wollte wissen, wie die Menschen in Spanien mit dem Bürgerkrieg in ihrem Land von 1936 bis 1939 und der Diktatur Francos danach, heute umgehen. Es gab erste Risse in einer Mauer des Schweigens, was sich in der Öffnung von Massengräbern und zunehmenden journalistischen Veröffentlichungen über die Diktatur und ihre Schattenseiten äußerte. Nach ersten Gesprächen mit Spaniern begann ich vollkommen in dem Thema und meiner Begeisterung für die Geschichte allgemein aufzugehen. Ich begann Parallelen zur Aufarbeitung der Vergangenheit in Deutschland zu ziehen, begann Franco und Hitler zu vergleichen und versuchte die Menschen in psychologische Entwicklungslinien einzuordnen und festzulegen.
Doch neben diesem Eifer und der absoluten Begeisterung für das Thema, den Vergleichen und Spinnereien in meinem Kopf, passierte etwas ganz Besonderes mit mir, etwas das mich persönlich und in meinem Umgang mit den Menschen und der Welt verändert hat. Etwas, womit ich nie gerechnet hätte und wovon ich überzeugt bin, dass es bis an mein Lebensende so bleiben wird.
Ich hatte viele Gespräche mit den Menschen dort, über ihre Geschichten und Erlebnisse. Oft ging es zugegebenermaßen nicht wirklich um den Krieg oder Franco, sondern einfach nur um ihr Verständnis von der Welt und vom Leben - um IHR Leben. Ich musste feststellen, dass ich vorher nicht wirklich Gespräche mit Menschen außerhalb meines Freundes- oder Bekanntenkreises hatte, höchstens wenn ich an einem Projekt für die Schule gearbeitet habe.
Es fällt mir schwer es auszudrücken ohne dass es falsch verstanden wird und überheblich klingt: Ich habe in dieser Zeit in Spanien gelernt, die Menschen an sich mehr zu schätzen und mehr zu achten. Ich habe sie vorher nicht verachtet, aber ich habe den meisten Menschen keine Aufmerksamkeit geschenkt, habe nicht anerkannt, dass hinter jedem Menschen eine Geschichte, ein ganzes Leben, steht. Ich konnte nicht erkennen wie sehr Erlebnisse einen Menschen prägen. Ich habe vorher Menschen viel zu schnell verurteilt und sie als uninteressant abgetan ohne überhaupt daran zu denken, dass sie eine Geschichte haben die sie zu dem macht was sie sind. Ich habe oft nur mich selbst gesehen und meine Geschichte.
Im Nachhinein war das Wichtige an meiner Reise nicht das Thema an dem ich "gearbeitet" habe, sondern die Erfahrung Menschen wirklich kennen zu lernen. Ich kann nun besser in der Welt und mit den Menschen darin leben. Die vier Wochen in Spanien letztes Jahr waren nur der Anfang, denn zum jetzigen Zeitpunkt reise ich seit neun Monaten und ich muss sagen dass es immer besser wird - mit den Menschen und dem "Mögen" der Menschen. Der Monat in Spanien, die Reise und das Reisen an sich, spielt in meinem Leben eine ganz besondere Rolle. Noch letztes Jahr dachte ich, es ginge darum, an einem Thema zu "arbeiten", als ich vor neun Monaten von zu Hause weg bin, dachte ich an die Länder und die Dinge die ich sehen würde. Jetzt weiß ich, dass es nicht das Reisethema ist und auch nicht die Ruinen in Mexiko, die mich veränderten, sondern die Gespräche mit jenen Menschen, denen ich vorher so wenig Beachtung geschenkt habe. Die Reise nach Spanien hat mich in eine sehr wichtige Richtung gelenkt.