Erlebte Geschichte: Altersheime der französischen Fremdenlegion

France


Enno Schumacher ist fasziniert von erlebter Geschichte, als er sich für ein zis-Stipendium bewirbt. Er versetzt sich in die Lage eines ebenfalls 20-Jährigen, der sich einst bei der französischen Fremdenlegion bewarb. Und dann gelingt es ihm tatsächlich, in südfranzösichen Altersheimen zu den Veteranen und ihren oft verstörenden Biographien vorzustoßen.

„Wer die Geschichte nicht kennt, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen“ (G. Santayana, 1863-1953). Dieses Zitat, das über dem Eingang eines Berliner Atombunkers steht, führte mich dazu, eine zis-Reise zu den Altenheimen ehemaliger Fremdenlegionäre zu unternehmen. Alte Menschen ziehen am Lebensabend Bilanz, sie halten eine Art Gewissenserforschung über ihr Leben. Insbesondere die Veteranen der Französischen Fremdenlegion haben dabei ihren wichtigsten Lebensabschnitt - ihre Dienstzeit - hinter sich und konnten mir rückblickend erzählen.

Es war schwer, mit den ehemaligen Legionären ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, das ein tiefgehendes Gespräch über ihr Leben erlaubte. Der berühmt-berüchtigte Ruf der Legion, Zufluchtsort von Perspektivlosen und Kriminellen zu sein, bestätigte sich leider allzu häufig. Dass es trotzdem geglückt ist, macht mich sehr froh. Ebenso glücklich bin ich, dass ich den Veteranen für ihr Vertrauen und ihre Offenheit mir gegenüber etwas zurückgeben konnte, denn sie haben mich als Gesprächs- und Vertrauensperson akzeptiert, ja teilweise sogar als Freund angesehen. Bei meiner Ankunft begegneten mir alle misstrauisch und abweisend. Als ich abreiste, wurde ich teilweise als Freund angesehen und war überladen von Geschenken, sodass ich sogar Klamotten zurücklassen musste, um Platz zu haben in meinem Rucksack.

Um ein gutes Verhältnis aufzubauen, habe ich mit den Veteranen zusammen gelebt und -gearbeitet. Auf keinen Fall wollte ich mit rücksichtslosen Interviews und mit Tonbandgerät bewaffnet das Verhältnis zu ihnen belasten. Viel besser konnte ich ihnen bei der Weinernte vor dem Fuße des Mont St. Victoire, in der Buchbinderei oder dem Keramikatelier Schritt für Schritt näher kommen. Gesprächsgelegenheiten mit den eigentlich verschlossenen und verbitterten Veteranen ergaben sich so ganz von alleine!

 

Rückblickend war es eine sehr intensive Zeit, in der ich viel gelernt habe. Seien es nun die Erzählungen und Schicksale der Veteranen, die Geschichte für mich als Geschichtsfan verständlicher, fassbarer, eben zu „erlebter Geschichte“ machen. Sei es durch mein persönliches Verarbeiten ihrer schweren Lebensschicksale, um selber unbelastet weiterleben zu können. Sei es mich in unbekannten Orten zu integrieren und zurecht zu kommen, eigenverantwortlich vorauszuschauen und zu leben, mit wichtigen und offiziellen Personen auf Französisch zu verhandeln. Ich habe erfolgreich die ursprüngliche Ablehnung der Veteranen und ihre „Mauer zur Außenwelt“ durchbrochen. Und ich habe gelernt, mit der zeitweiligen Einsamkeit zurechtzukommen. Vor allem habe ich gelernt, mein Leben mehr zu schätzen, denn aus der Distanz einer zis-Reise sehe ich das Vertraute neu.

Meine Reise zu den Veteranen der Fremdenlegion war keine freudige oder gar lustige Reise. Meine Erlebnisse waren traurig, erschütternd und destruktiv. Es war eine große Herausforderung für mich, mit den zerbrochenen Biographien der Veteranen umzugehen. Ebenso war es für mich sehr schwer, mit Massenmördern, Leichenschändern, Säufern, Verrückten, Vergewaltigern und Kriminellen zu reden, zu leben und teils gar befreundet zu sein. Die glasigen Augen meiner Lebensgefährten auf Zeit brachten mir stets in Erinnerung, was diese Augen schon alles gesehen haben mussten, ja was der Mensch dahinter anderen für Leid zugefügt haben musste.

Jedoch war meine zis-Reise vor allem eins: Sie war trotz der vielen traurigen Lebenserinnerungen der Veteranen schön! Ich musste lernen, Mut zu fassen und Hürden anzugehen. Sie war schön wegen der Glücks- und Erfolgsmomente, die umso stärker waren, je schwieriger die Ausgangslage erschien. Nachher festzustellen, dass es einfacher ging als befürchtet, machte mein zis-Erlebnis zum Erfolg. Oft musste ich mit mir kämpfen, mich überwinden, durchhalten oder spontan auf unbekannte Situationen reagieren.

Ich habe verstanden, dass etwas ruhig schief laufen darf, dass nicht alles nach Plan sein muss. Das ist das „zis-Glück“: Über Schwierigkeiten, die auf den ersten Blick unüberwindbar scheinen, wächst man heraus, wenn man sie offen und zuversichtlich anpackt! Oft wird es dann doch viel besser, als wenn alles nach Plan gelaufen wäre. Dieses „zis-Glück“ beruhigt mich noch heute.

Auch ganz konkret hat mir die zis-Reise etwas gebracht. Ich hatte mir Anstöße für meine Studienwahl erhofft. Meine Interessen, insbesondere Geschichte, Französisch und Politik, konnte ich vertiefen. Nun studiere ich den deutsch-französischen Doppelstudiengang „Sciences Politiques“. Meine Erlebnisse und Ansichten, die ich dank der zis-Reise bekommen habe, werden mir helfen. Getreu dem Motto, „Wer die Vergangenheit nicht kennt, wird die Zukunft nicht verstehen“ (Konfuzius, 551-479 v. Chr.).


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A book on zis was published on the 50th and 60th anniversary each. The books are available in German only and can be purchased at the zis office.

> Excerpt "Reiseziel Erfahrung"
> Excerpt "Jugendliche entdecken fremde Kulturen"