Die zweite Generation - Die Kinder der vietnamesischen Einwander*innen: Die viet-deutsche Perspektive

Germany


Wenn man mich fragt, was ich auf der zis-Reise erreichen wollte, dann war es, meine Eltern und ein Stück meiner vietnamesischen Identität zu finden. Warum ich mich für dieses Thema entschieden habe, ist recht simpel: Ich habe ein sehr rassistisches Bild von meinen Eltern.

Wenn man mich fragt, was ich auf der zis-Reise erreichen wollte, dann war es, meine Eltern und ein Stück meiner vietnamesischen Identität zu finden.

Warum ich mich für dieses Thema entschieden habe, ist recht simpel: Ich habe ein sehr rassistisches Bild von meinen Eltern. Wenn sie dies oder jenes tun, so habe ich es oft auf ihre vietnamesische Mentalität geschoben, obwohl ich keinerlei Ahnung habe, wie Vietnames*innen so ticken. Mir fiel auf, dass ich selbst einen rassistischen Blick auf meine Eltern habe und war schockiert, warum ich meinen Eltern nicht wie mir selbst eine kulturelle und auch individuelle Prägung zugestehe. Ein anderer oder weiterer Grund für meine Reise: Ich erlebe seit meiner frühesten Kindheit Rassismus, und dieses Gefühl des „Andersseins“ werde ich sehr schwer wieder los. Deswegen wollte ich andere viet-deutsche Menschen, die sich sowohl als deutsch als auch als vietnamesisch definieren, treffen und sie fragen, wie sie mit ihren Eltern umgehen und wie ihre Lebensrealität hier in Deutschland aussieht.

Ich bin durch ganz Deutschland gereist und hab ein wahres Städte-Hopping gemacht, ganz nach dem Motto „heute hier, morgen dort.“ Während meiner Reise habe ich unfassbar viele interessante und warmherzige Menschen getroffen, die mir einen Einblick in ihr Leben gegeben haben. Wir haben einander über unsere vietnamesischen Eltern erzählt, wie sie uns Berge und Tonnen von Essen zubereiten, welche Konflikte zwischen ihnen und unseren Eltern herrschen, wie unser Verhältnis zu Vietnam so ist. Es gab unendlich viele Stellen, bei denen wir zugleich gelacht und geweint haben. Aus diesen Gesprächen konnte ich ähnliche Problematiken wie bei mir feststellen: dass eine enorme Sprachbarriere zwischen den Eltern und den Kindern existiert; es gibt Geschichten von gescheiterter Integration; das große Problem der häuslichen Gewalt; der enorme Leistungsdruck, der auf uns lastet; der Wunsch nach PoC-Psychotherapeut*innen; die schwere Last des Rassismus und das Gefühl des „Nicht-gesehen-Werdens“, ob von unseren Eltern oder von der Gesellschaft. Es war enorm trostspendend, wie viel meine Interviewpartner*innen mit mir geteilt haben, und diese Erkenntnisse werden noch lange in mir nachhallen. Ich sah in all diesen Menschen so etwas wie Mentor*innen, die mir so viel Rat gegeben haben, wie sie mit diesen ganzen Problemen umgehen und hoffe, dass der Austausch auch ihnen so gut getan hat wie mir. Durch diese Gespräche konnte ich ein Stück weit heilen.

Aber während einige Wunden und Verletzungen heilten, habe ich mir auf der Reise andere zugezogen. Ich habe den Ort besucht, wo sich meine Eltern in der damaligen DDR kennengelernt haben: die Jupiterstraße in Leipzig. Ich erinnere mich noch, wie ich zum Rand der Stadt gefahren bin und mir dachte: Was war grauer? Der Tag, die Gebäude oder der Lebensalltag, den meine Eltern damals gelebt haben? Ich saß so verloren dort, wo sich Plattenbau an Plattenbau reihte und alles nur so trist wirkte. Und in diesem Moment habe ich verstanden, was für ein Leid meine Eltern durchlebt haben. Der Krieg zuhause und so jung alleine in einem fremden Land zu sein, das Sabotieren der eigenen Integration. Eine weitere Verletzung entstand in mir, als ich das sogenannte Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen besuchte. 1992 fanden dort Ausschreitungen gegen Asylbewerber*innen und vietnamesische Vertragsarbeiter*innen statt, die damals im Sonnenblumenhaus gelebt haben. Dort zu sitzen und die Geschehnisse nachzuvollziehen war schmerzlich und irritierend zugleich, denn das Gebäude wird heute noch bewohnt. Zudem kann man auf Google Maps auch noch Rezensionen zum Sonnenblumenhaus lesen, sehr geschmacklos, meines Erachtens.

Nichtsdestotrotz war meine zis-Reise mit all ihren Menschen, meinen Interviewpartner*innen, den Hosts, den zufälligen Begegnungen, einfach wunderschön; ich konnte so enorm viel über mich selbst lernen und habe viel Rückhalt und Liebe erfahren. Das zaubert mir noch heute ein Lächeln auf die Lippen. Ich konnte viel mitnehmen und habe mich ein Stück weit selbst gefunden, mit meiner Situation als viet-deutsche Person. Aber zwischen all den Orten und Geschichten konnte ich auch meine Eltern finden und sie ein Stück weit besser verstehen.

zis hat mein Leben verändert und ich bin unfassbar dankbar und glücklich darüber.


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The zis-books

A book on zis was published on the 50th and 60th anniversary each. The books are available in German only and can be purchased at the zis office.

> Excerpt "Reiseziel Erfahrung"
> Excerpt "Jugendliche entdecken fremde Kulturen"