Über das Glück, die Lebenskunst und guten Wein

France


Die Entdeckung der französischen Weinkultur. Chiara Fleischhacker reist 2012 nach Südfrankreich, um auf mehreren Weingütern das französische „savoir-vivre“ kennenzulernen.

Auf meiner Reise wollte ich die französische Weinkultur und Lebenskunst kennenlernen und verstehen. Zu Beginn fragte ich in Bahnhof und Bäckerei die Einheimischen, was sie mit dem „Savoir-vivre“ verbinden, dem geflügelten Wort, das mir zuerst in den Kopf schoss, als ich an Frankreich und dessen Lebensart dachte. Schnell wurde mir bewusst, dass „Savoir-vivre“ gutes Benehmen und Höflichkeit bedeutet und dass das, was wir damit verbinden, besser mit „L´art de vivre“, also Lebenskunst beschrieben wird. Dies erklärte mir mein erster Gastgeber Maël aus Rosières. Maël Royé ist junger Bio-Landwirt und Winzer in der Ardèche. Er entschied sich mit Anfang 20 dafür, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Er lernte von ihm und gab einige der gut gehüteten Familiengeheimnisse an mich weiter. Ich erfuhr die Eigenheiten der Weinherstellung und wie wichtig die persönliche Prägung durch den Winzer ist, indem er z.B. entscheidet, wann die Weinlese stattfindet, wann gepresst wird und wie lange der fermentierende Wein in den Gärbehältern reift. Auf dem Hof der Royés erfuhr ich, wie Weinherstellung ohne elektronische Maschinen funktioniert, allein durch Körperkraft, Motivation und Leidenschaft für dieses Metier. Maël brach sein Journalismus-Studium ab und entschied sich im Gegensatz zu seinem Zwillingsbruder gegen ein Leben in der Stadt mit Karrierechancen. Er wagte den Schritt in die Landwirtschaft und lebt nun ein Leben in der „Simplicité“ - in Einfachheit und mit allem was das Herz begehrt. Für ihn bedeutet das: Hand in Hand mit Freunden zu arbeiten, bei Wind und Wetter in die Weinreben und auf das Feld zu gehen, damit am Ende Produkte einmaliger Qualität entstehen, auf die er stolz ist. Die Freude darüber sah ich immer in seinem Grinsen, als er auf dem provenzalischen Markt seine Erträge verkauft hat und die Kunden ihn für sein frisches Gemüse und den edlen Wein lobten. Den Mut sich gegen den konventionellen Weg für die Familientradition zu entscheiden, finde ich beachtenswert!

Ich hatte Glück. Im Nachbarort wurde ich von Fréderic, einem Önologen, in die kooperative Weinfabrik eingeladen, wo ich eine gegensätzliche Philosophie der Weinherstellung kennen lernen durfte und von Besuch zu Besuch Teil des Teams wurde. Zumindest bei der Dégustation, habe ich gerne meine Hilfe angeboten... In der Kooperative werden die Trauben der verschiedenen Winzer vermischt und Enzyme und Chemikalien zugesetzt, sodass die persönliche Note des Winzers mit jedem Arbeitsschritt verloren geht. Nun weiß ich auch, woher die Kopfschmerzen stammen, nach einem geselligen Abend mit industriell hergestellten Wein. Dennoch sind mir die Angestellten mit einer überraschenden Freundlichkeit und Offenheit begegnet, die ich sehr zu schätzen gelernt habe. Das Know-How, welches Fréderic und sein Team mir weitergaben, nahm ich nicht für selbstverständlich hin, merkte jedoch, dass auch sie einfach erfreut darüber waren, dass eine junge Frau sich für ihr Handwerk interessiert und begeistert.

Den prägendsten Teil meiner ZIS-Reise erlebte ich in Cases-de-Pène, einem kleinen Ort nahe der Pyrenäen. Dort lernte ich Lucien Salani kennen - Winzer mit Leib und Seele. Er ließ mich ordentlich mit anpacken in seinem Weinkeller, Trauben lesen, keltern, pressen und ging nie davon aus, dass meine Aufnahmefähigkeit auch nur annähernd erschöpft ist, nach einem anstrengenden Tag in der „Cave“. Mein Wissensdurst war ungebremst und so bildeten wir ein super Team. Um zu verstehen, wie der Geschmack in den edlen Tropfen gelangt, ließ er mich nicht nur Wein und Trauben verkosten, sondern auch die Kerne und Rispen. Er nahm mich mit in die Weinberge und zeigte mir die zig verschiedenen Bodentypen, die vor allem in der Region „Côtes-Roussillion“ ein prägender Faktor sind. Bei Musik von „Brassens“, seinem Chansonidol, fuhren wir zu Luciens Winzerfreunden, die in traditionellerem Rahmen Wein herstellten. Aline zum Beispiel pflügt die Weinfelder mit Pferdestärke und hat sich der bio-dynamischen Weinproduktion verschrieben. Die Erfahrung sollte mir nach Luciens Meinung auf keinem Fall entgehen in meiner zweiwöchigen Kurzausbildung zur Mini-Winzerin und so bestand er sogar darauf, dass ich die Pferde besuchte, die auch Teil des Wein-Teams sind.

Viel wichtiger für mich war aber, was er mir persönlich beibrachte, zu einem Lebensstil den ich vorher nicht kannte. Für Lucien liegt das Glück in der Einfachheit der Dinge. Es muss nicht immer ein größer und mehr sein an Besitz. Es zählt das Vertrauen in seine Freunde und die kompromisslose Unterstützung untereinander. Jeder packt bei der Weinlese des Nachbarhofes mit an. Produkte, wie Honig, Austern, salzige Mandeln aber auch Kunst werden untereinander getauscht, im Gegenzug zu einer Flasche seines ausgezeichneten Weines.

Ich wurde aufgenommen in diese Gemeinschaft, durfte mithelfen und für mich erfahren, dass man sich viel zu oft aufregt über nichtige Dinge und selten Grund zum Trübsal blasen hat. Selbst als Lucien sich den Zeh gebrochen hat, nachdem er über liederlich gestapelte Weinkartons gestolpert ist, gewann er nach 5 Minuten sein gewohntes, schelmisches Grinsen zurück. „Mir ist keine Bombe auf den Fuß gefallen, mir geht es immer noch spitze!“, posaunte er durch den Weinkeller. Am nächsten Tag stand er wieder auf dem Weinberg mit Krücken und Gips, um Aline, der befreundeten Winzerin zu helfen.

Die Erfahrungen, die ich in Rosières bei den Royés, bei Lucien im Süden Frankreichs und später noch in Avignon sammeln konnte, haben mich deutlich geprägt. Ich habe einen anderen Blick auf die Dinge und mich selbst erhalten, erfahren, was mir wirklich wichtig ist und mich glücklich macht. Vor allem ist es Lucien zu verdanken, dass ich in diesem faszinierenden ZIS-Erlebnis nach einem Monat auch zu einer kleinen französischen Lebenskünstlerin reifen konnte. Ich trage die Erinnerungen bei mir und freue mich auf den Tag, an dem ich dorthin zurückkehre und vom 2012er-Jahrgang probieren kann. Vielleicht schmeckt man ja sogar eine nicht zu unterschätzende Zutat heraus: das Glück!


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