Kaliningrad und die heutige Bedeutung seiner deutschen Geschichte

Russia


„Kaliningrad – wo liegt denn das?“ war die Frage, die ich vor meiner zis-Reise häufig hörte. Denn dass es zwischen Polen und Litauen eine kleine russische Enklave namens Kaliningrad gibt, ist eher unbekannt – dass diese früher Königsberg hieß, nur 600 Kilometer entfernt von Berlin liegt und bis zum Ende des 2.Weltkrieges eine deutsche Stadt war, wissen die wenigsten.

Auch ich hatte nie etwas hiervon gehört, bis zu einer Geschichtsstunde Anfang der 12. Klasse, als im Rahmen der Einheit „Zweiter Weltkrieg“ das Thema Preußen und die „Aussiedlung“ oder besser doch Vertreibung der deutschen Bevölkerung kurz angesprochen wurde.

Eine Stadt, die einst komplett von der deutschen Kultur geprägt war, nach dem Krieg in eine russische Stadt umgewandelt wurde, mit dem Versuch, alles Deutsche zu zerstören, ein kompletter Bevölkerungsaustausch, die systematische Abriegelung des Gebietes bis 1991, nun ein Stückchen Russland umgeben von EU-Mitgliedsstaaten – mir war klar: Dort musste ich hin!

Mit schnell angelernten minimalen Russisch-Kenntnissen saß ich dann Mitte August in einem Bus von Stuttgart nach Kaliningrad. Ich war auf dem Weg zu erkunden, welche Spuren und Verbindungen die deutsche Vergangenheit des Gebietes in der heutigen Gegenwart hinterlassen hatte, welche Organisationen und Gruppen sich mit der deutschen Vergangenheit, der deutschen Sprache und Kultur beschäftigen und inwiefern die Geschichte der Stadt für die heutigen Bewohner noch eine Rolle spielt.

Das große Interesse an meiner Studienreise zeigte: Das Thema ist brandaktuell! Die deutsche Vergangenheit des Gebietes ist in den Köpfen der Menschen fest verankert und wird vor allem städtebaulich heiß diskutiert. Es war unglaublich, wie ich von anfangs einigen wenigen Kontaktpersonen, die ich vorher per Mail kontaktiert hatte, zu so vielen Ansprechpartnern fand und so viele Dinge miterleben durfte. Es zeigte sich einmal mehr, dass man durch couragiertes Fragen manchmal Türen öffnen kann, die man zunächst für verschlossen hält.

Ich verbrachte viel Zeit in der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde, die nur einige Gehminuten von meiner zeitweiligen Wohnung entfernt war. Ich besuchte den Königsberger Express, eine deutschsprachige Zeitung, das deutsche Generalkonsulat, das deutsch-russische Haus, eine Kultureinrichtung, wo ich viel Zeit bei verschiedenen Veranstaltungen verbrachte. Außerdem die Vertretung der deutschen Wirtschaft, das Klaus-Mehnert-Institut an der Universität und das Museum am Friedländer Tor.

BegegnungenEine der beeindruckendsten Begegnungen meiner Reise war das Treffen mit Charlotte Gottschalk, die noch als junge Frau im damaligen Königsberg lebte und nach dem zweiten Weltkrieg aus ihrer Heimat nach Deutschland zwangsausgesiedelt wurde. Auch das Treffen mit ihr ist einem der vielen unglaublichen Zufälle zu verdanken, die mir während meiner zis-Reise passiert sind.

Die Geschichte, die sie mir erzählte, handelte von viel Leid und zahlreichen Verlusten, aber auch von den glücklichen Zeiten, die sie hier in Königsberg verbracht hatte. Es beeindruckte mich, dass sie trotz der Dinge, die ihr widerfahren sind, ihre alte Heimat, die inzwischen – zumindest vom heutigen Stadtbild ausgehend - zum größten Teil ausgelöscht ist, immer wieder besuchen kommt, sich für die Leute in der Region engagiert und nicht den geringsten Hass hegt. Während meines Aufenthaltes begann ich ihr Heimweh nach dem alten Königsberg und auch die Faszination vieler Kaliningrader an der alten deutschen Stadt, deren Spuren zum Großteil heute nicht mehr vorzufinden sind, mehr und mehr zu verstehen.

Eines wird mir von einer Reise wirklich unvergesslich bleiben: Die Offenheit und Gastfreundlichkeit der Menschen in Kaliningrad. Dies fing an bei Shanna, bei der ich vier Wochen lang kostenlos wohnen durfte, über Gesprächspartner, die mich spontan zu Rundfahrten und Ausflügen einluden und Menschen, bei denen ich sofort Kaffee und etwas zu Essen auf den Tisch gestellt bekam und die mir dann noch ein Abendbrot einpacken wollten, obwohl sie selbst nicht viel hatten. Es sind Freundschaften entstanden, die bis heute anhalten. Ich habe viel über die russische Kultur gelernt, aber auch viel über mich selbst: Dass ich mich auch ohne Sprachkenntnisse in einem fremden Kulturkreis und einer fremden Stadt bewegen kann, dass man, wenn man offen auf fremde Menschen zugeht, unerwartet viel Unterstützung bekommen kann und dass ich mich von Enttäuschungen nicht herunterziehen lassen muss, weil man auch über vermeintliche Umwege sein Ziel erreichen kann.


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